Spielend gesund: Therapeutische Videospiele und barrierefreies Gaming in der Therapie

Ärztin in weißem Kittel sitzt neben einem älteren Mann mit grauem Bart. Beide halten Spielecontroller in den Händen und lachen sich an, während sie sich zur Begrüßung oder zum Erfolgserlebnis mit einer High-Five-Geste abklatschen. Spielerische Therapie.

In der modernen Therapie halten Gamification und barrierefreies Gaming verstärkt Einzug. Spielerische Ansätze, von speziellen Gesundheits-Videospielen bis zu Bewegungs-Games auf Konsolen, bereichern die Rehabilitation auf informative und motivierende Weise. Patienten jeden Alters können damit Augen-Hand-Koordination, Ausdauer oder kognitive Fähigkeiten trainieren und gleichzeitig Spaß an der Sache haben. Videospiele können so vieles sein: Überwindung, Therapie, Lichtblick, sie schaffen Erfolgserlebnisse und emotional positive Momente im oft mühsamen Therapieverlauf.

Therapeutische Videospiele: Wenn Zocken zur Medizin wird

Digitale Therapiespiele (auch Serious Games genannt) werden gezielt entwickelt, um Gesundheitszustände zu verbessern. Ein prominentes Beispiel ist EndeavorRx: Dieses Videospiel wurde in den USA als erstes Spiel auf Rezept für Kinder mit ADHS zugelassen. In dem Spiel navigieren 8- bis 12-Jährige einen Avatar durch fantasievolle Welten und trainieren dabei unbewusst ihre Aufmerksamkeit. Die Wirkung ist beachtlich: Nach nur vier Wochen Therapie mit EndeavorRx zeigte ein Drittel der Kinder keine messbaren Aufmerksamkeitsdefizite mehr in mindestens einem Bereich, und die Hälfte der Eltern bemerkte deutliche alltagspraktische Verbesserungen. Dieses Beispiel zeigt, wie ein Videospiel als nebenwirkungsfreie Therapie fungieren kann.

Ein anderes etabliertes Serious Game ist Re-Mission. In diesem Action-Game bekämpfen junge Krebspatienten als Miniaturfigur Krebszellen im Körper, was spielerisch das Verständnis ihrer Krankheit fördert und nachweislich die Medikamenten-Einnahmetreue verbessert. Auch im psychologischen Bereich kommen Therapeutika zum Einsatz: VR-Programme wie SnowWorld etwa helfen schwer verletzten Patienten, Schmerzen zu lindern. Während Verbandswechseln in der Burntherapie lenkt SnowWorld die Aufmerksamkeit der Patienten in eine eisige 3D-Schneewelt, so werden die Schmerzreize im Gehirn deutlich geringer wahrgenommen, teils um 35–50 % reduziert. Solche Spiele entfalten ihr Potenzial vor allem durch eines: Motivation. Anstatt Übungen passiv oder widerwillig auszuführen, tauchen Patienten aktiv in die Spielhandlung ein und „trainieren“ ihre Gesundheit mit Begeisterung. Selbst Gedächtnistraining wird zum Spiel: Gehirnjogging-Apps wie NeuroNation oder CogniFit bieten unterhaltsame Denkaufgaben, die helfen sollen, kognitive Fähigkeiten und Gedächtnis zu schärfen, ob zur Prävention von Demenz oder zur Rehabilitation nach einem Schlaganfall. Es zeigt sich: Therapeutische Videospiele können Medizin und Unterhaltung vereinen und so die Therapie aufwerten.

Bewegungsbasierte Spiele: Wii, Kinect & Co. in der Reha

Nicht nur klassische Videospiele, auch Bewegungsspiele auf Konsolen, sogenannte Exergames, haben ihren festen Platz in Therapie und Rehabilitation. Systeme wie die Nintendo Wii oder Microsoft Kinect nutzen Körpereinsatz als Steuerung und motivieren Patienten zu mehr Bewegung. In vielen Physiopraxen und Kliniken gehört z.B. die Wii-Konsole längst dazu: Beim virtuellen Bowling, Tennis oder Balancieren auf dem Wii Balance Board werden spielerisch Koordination, Gleichgewicht und Rumpfmuskulatur trainiert. Wichtig dabei: Der Spaß und die Freude an der Bewegung stehen im Vordergrund, der Wettbewerbsgeist („Schaffe ich heute meinen Highscore?“) spornt zusätzlich an. Die Patienten merken oft gar nicht, wieviel sie üben, weil sie im Spiel voll aufgehen.

Ein beeindruckendes Beispiel für Bewegungsspiele in der Geriatrie ist die memoreBox. Diese speziell für Senior*innen entwickelte Konsole enthält mehrere therapeutische Spiele – von Tanzen über Motorradfahren bis Kegeln. Gesteuert wird allein durch Körperbewegungen via Sensor-Kamera, sodass auch Personen im Rollstuhl aktiv mitmachen können (z.B. durch leichtes Neigen lenken sie ein virtuelles Motorrad). Studien im Pflegeheim zeigen, dass das regelmäßige „Zocken“ mit der memoreBox die Bewohner leistungsfähiger und mobiler macht und ihre Stand- und Gangsicherheit verbessert. Die Spiele schulen erwiesenermaßen nicht nur Beweglichkeit und Gleichgewichtssinn, sondern regen auch kognitive Fähigkeiten (wie planvolles Handeln) an und fördern die soziale Interaktion der Senioren untereinander. Gemeinsam vor dem Bildschirm zu bowlen oder zu singen belebt das Miteinander im Heim, man lacht, fiebert und bewegt sich zusammen. Bewegungskonsolen wie Wii, Kinect oder memoreBox verwandeln eintönige Übungsabläufe in freudige Erlebnisse und steigern so die Therapietreue enorm. Selbst neuere Systeme wie die Nintendo Switch mit Ring Fit Adventure (ein Fitness-Rollenspiel mit einem flexiblen Ring-Controller) finden inzwischen ihren Weg in die Bewegungstherapie und bieten zu Hause eine spaßige Möglichkeit, Ausdauer und Kraft zu trainieren.

Interaktive Therapietools: Sensoren, Würfel und weitere Spiele

Therapeutisches Gaming findet nicht nur auf Konsole oder PC statt, es gibt auch innovative Spielgeräte und Gadgets speziell für Therapie-Zwecke. Ein Beispiel sind intelligente Sensor-Würfel wie BoBo Dice. Diese handlichen Würfel sind mit 3D-Bewegungssensoren und Funk ausgestattet und koppeln sich an eine Spiel-App auf dem Tablet oder Smartphone. Durch verschiedene Spiele und Übungen fördern die BoBo Dice spielerisch die Feinmotorik und Auge-Hand-Koordination bei Kindern und Erwachsenen. Leuchtet der Würfel z.B. rot auf, muss der Patient ihn schnell wenden oder schütteln, die App registriert die Bewegung in Echtzeit und gibt direktes Feedback. Solche Tools kommen etwa in der Ergotherapie zum Einsatz, um nach Handverletzungen oder bei Entwicklungsverzögerungen die Geschicklichkeit zu trainieren.

Auch im Bereich Physiotherapie gibt es kreative Geräte: Spezielle Sensor-Handschuhe wie der RAPAEL Smart Glove verwandeln Reha-Übungen der Hand in ein Videospiel. Nach einem Schlaganfall können Patienten damit z.B. virtuelle Obstscheiben zerschneiden oder Fische angeln, jede echte Handbewegung steuert die Aktion im Spiel. So werden Finger- und Handgelenkbewegungen tausendfach motiviert geübt, ohne dass Langeweile aufkommt. Ähnlich arbeitet die VR-Technologie: Systeme wie MindMotion oder VRBalance projizieren Übungen in eine virtuelle Umgebung, in der Patienten Balance-Aufgaben oder Greifübungen lösen. Die Immersion in die virtuelle Welt erhöht die Wiederholungsfrequenz der Bewegungen, ein wichtiger Faktor für motorische Fortschritte.

Auch für kognitive und sensorische Förderung gibt es interaktive Lösungen. Ein sogenannter „Zaubertisch“ (Tovertafel) projiziert bewegliche Lichtspiele auf den Tisch, die von Menschen mit Demenz per Hand berührt werden können. Sie „fangen“ beispielsweise animierte Schmetterlinge oder kicken virtuelle Bälle, was spielerisch ihre Konzentration, Reaktionsfähigkeit und auch etwas Bewegung anregt. Dabei zaubert die Tovertafel oft ein Lächeln auf die Gesichter und regt zum sozialen Miteinander an, wenn mehrere gemeinsam spielen. Diese Beispiele zeigen, wie vielseitig Gamification-Tools in der Praxis sind: Ob Würfel, Sensor, Tablet oder Projektor, die Technik wird zum Mittel zum Zweck, um Patient*innen niederschwellig zu aktivieren und therapeutische Ziele mit Freude zu erreichen.

Barrierefreies Gaming: Technik, die alle mitspielen lässt

Damit Gaming sein volles therapeutisches Potenzial entfalten kann, muss es für alle zugänglich sein, unabhängig von körperlichen Einschränkungen. Hier kommen adaptive Gamecontroller und barrierefreie Technologien ins Spiel. Ein herausragendes Beispiel ist der Xbox Adaptive Controller von Microsoft. Dieses spezialgefertigte Eingabegerät besitzt zwei große, leicht zu treffende Tasten und 19 Ports zum Anschließen externer Schalter, Buttons, Pedale oder Joysticks. So lässt sich für jeden Spieler ein maßgeschneidertes Steuerungs-Setup bauen, ob jemand nun nur einen Arm nutzen kann, mit den Füßen steuert oder Kopf- und Mundsteuerungen einsetzt. Die Devise lautet: Game yourway, spiele auf deine Weise. Ein beeindruckender Fall ist etwa Spencer Allen, ein leidenschaftlicher Gamer, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist. Er kombinierte den Xbox Adaptive Controller mit selbstgebauten Zusatzbuttons und Joysticks und konnte so wieder präzise seine Lieblingsspiele wie Halo oder Call of Duty zocken, nahezu auf dem Niveau wie vor der Verletzung. Dieses Beispiel zeigt, wie barrierefreie Gaming-Technik Teilhabe zurückgeben kann.

Neben physischen Hilfsmitteln gibt es viele weitere Verbesserungen für barrierefreies Gaming. Spezielle Mund-Controller wie der Quadstick erlauben es, allein durch Sip-and-Puff-Bewegungen (Blasen/Saugen) und Kopfbewegungen ein Spiel zu steuern. Für Spieler mit starker Sehbehinderung existieren Audio-Games oder Spiele mit haptischem Feedback, die über Klang und Vibration steuerbar sind. Moderne Spiele bieten zudem umfangreiche Einstellungen für Barrierefreiheit, von frei konfigurierbaren Untertiteln über Farbenblindheits-Modi bis hin zum Co-Pilot-Modus, bei dem zwei Controller als ein gemeinsamer Controller fungieren (sodass ein Helfer unterstützend mitsteuern kann). All diese Technologien haben ein Ziel: Barrieren abbauen. Wie es so treffend heißt, „Gaming ist mehr als ein Hobby, für viele ist es ein Lebensgefühl“. Mit barrierefreiem Gaming dürfen auch Menschen mit Behinderungen dieses Lebensgefühl erleben und therapeutisch davon profitieren. Videospiele werden so vom Zeitvertreib zum Werkzeug für Inklusion und Genesung.

Spielspaß als Therapiebooster

Ob bunte Therapiespiele auf Rezept, schweißtreibende Bewegungsgames in der Reha, interaktive High-Tech-Gadgets oder clevere Zugangs-Technologien, sie alle verfolgen dasselbe Ziel: Patienten mit unterschiedlichen Einschränkungen spielend zu fördern. Die Mischung aus Spaß, Motivation und Trainingseffekt macht Gaming zu einem wertvollen Ergänzer klassischer Therapie. Gerade wer lange, monotone Übungen kennt, weiß die Abwechslung zu schätzen. Durch Gamification rückt der Mensch mit seiner Neugier und Spielfreude in den Mittelpunkt: Die Therapie fühlt sich nicht mehr nach Pflicht an, sondern nach einem aktiven Abenteuer, bei dem man Erfolge feiern kann. Das steigert die Compliance (Therapietreue) und oft auch die Lebensqualität, wenn Patienten merken, was in ihnen steckt. Von der motorischen Rehabilitation über die kognitive Stärkung bis hin zur sozialen Teilhabe: Spiel und Therapie gehen Hand in Hand. So wird aus „Üben, üben, üben“ plötzlich „spielen und genesen“. Die vorgestellten Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie Gamification und barrierefreies Gaming die Therapie bereichern, informativ und emotional ansprechend. Denn am Ende gilt: Gesundwerden darf auch Spaß machen. Spielerisch geht vieles leichter – und Lachen ist ja bekanntlich die beste Medizin.